Dipl.Ing. Herbert Frei
Der Stör
Acipenser sturio
Panzerkreuzer in heimischen Gewässern
Es gibt Fische im Süßwasser, die kennen selbst Angler
nur aus Lehrbüchern und Geschichten, Normalsterbliche gar nur vom Hörensagen. Eine
dieser zoologischen Raritäten ist der Stör. Ein Fisch aus der Urzeit, in Deutschland
selten wie die blaue Mauritius, wertvoll wie die englische Köniskrone. Der
Unterwasserfotograf Herbert Frei beschreibt den einzigen heimischen unechten Knochenfisch
und zeigt vielleicht die letzten unwiederbringlichen Aufnahmen aus seinem Lebensraum.
Vom Stör, Acipenser sturio, werden nach
Auskunft von Experten in der Bundesrepublik in menschlicher Obhut ganze zwei Exemplare mit
vager Hoffnung auf Vermehrung gehalten. Glaubt man der Roten Liste, gilt der Stör bei uns
als nahezu ausgestorben. Nur Einzelexemplare werden noch in Elbe, Rhein und Donau
gesichtet. Gelegentlich verfängt sich einer im Netz eines Berufsfischers, wird aber im
Regelfall wieder freigelassen, denn Acipenser sturio steht unter strengem
Naturschutz, darf weder gefangen, noch verkauft werden. Dies hinderte allerdings Anfang
1990 einen mecklenburgischen Fischer nicht daran, einen versehentlich ins Netz gegangenen
Atlantischen Stör von 2,85 m Länge und 142 kg Gewicht der Kantine des Bonner
Innenministeriums zu verkaufen, wo der stattliche, ca 50 Jahre alte Fisch zu 250 Portionen
verarbeitet wurde. In den Mägen der Bürokraten verschwand eines der letzten Exemplare
des Atlantischen Störs. Kopf und Haut des stattlichen Fisches wurden einem
naturkundlichen Museum übergeben. Ein kleines Drama, das zur ministeriellen Provinzpose
verkam, denn die gewitzen Polit-Gourmets reichten nach dieser Panne den Schwarzen Peter
einfach nach Brüssel weiter. Nach EG-Recht sind Störe nämlich frei zu befischen. Wie
unter solchen Gesetzen eine Arterhaltung funktionieren soll, ist absolut unklar und lässt
Störexperten an allen Wiedereinbürgerungsprogrammen zweifeln.
Historie
Die älteste verbürgte Nachricht über den Stör stammt von dem
griechischen Schriftsteller Herodet, der den Riesenfisch bereits 450 v.Chr. in einem
seiner Werke erwähnte. Wie beliebt der Stör als Speisefisch in früheren Jahren war,
belgen Schriften aus denen hervorgeht, dass es in Hamburg an den St.
Pauli-Landungsbrücken im letzten Jahrhundert eine 2,3 Ar große Störhalle gab - gebaut
nur für diesen Fisch. Ein blühender Störhandel überzog alle Städte, die an einem der
großen europäischen Flüsse lagen. In Wien und Hamburg galten Störe als
Massennahrungsmittel für das einfache Volk, das in seinen Verträgen stehen hatte, dass
es pro Woche nicht mehr als drei Störgerichte essen musste. Tonnenweise wurden die
riesigen Fische in Netzen gefangen und teilweise an Hunde und Katzen verfüttert. Mit
beispielloser Ignoranz, von politischer Unfähigkeit begleitet und taub gegen alle
Anzeichen der Überfischung wurden die Störbestände bis 1936 nahezu restlos dezimiert.
Mit immer engmaschigeren Netzen und dem gleichzeitigen Bau von Schleusen und Staustufen
wurden nicht nur vermehrt noch nicht geschlechtsreife Störe gefangen, auch ihre
Wanderwege hatte man gedankenlos vermauert und auf diese Weise die letzten Laichgebiete
zerstört. So wie sich die Zeiten geändert haben, hat sich der Stör rar gemacht. Aus
deutschen und österreichischen Gewässern ist er weitgehend verschwunden, kaum noch wird
einer gesichtet, noch seltener einer gefangen. Und viele Angler bekommen ein schlechtes
Gewissen, wenn doch mal einer an den Haken geht. Still und ohne Aufhebens gibt man ihm
wieder die Freiheit. Jetzt wurde der Stör zum Fisch des Jahres gewählt. Ein Schritt der
seit langem überfällig war.
Störfälle
Wer jemals unter Wasser einem Stör begegnet ist, kann sich des
Gefühls nicht erwehren, ein archaisches Lebewesen gesehen zu haben. Der haiförmige
Körper, seitlich und oben mit Knochenschildern bedeckt, endet in einer spitzen Schnauze,
die hart wie ein Stück Kantholz dem Kopf entspringt. Fährt man mit der Hand über den
gepanzerten Rücken, meint man, einen Unsterblichen zu berühren. Weit über 100 Jahre
kann er nachweislich alt werden. Auch das unterscheidet ihn von den meisten Lebewesen und
weckt Ehrfurcht. Geradezu unheimlich kommen einem seine Maße vor. Gegen den heimischen
Stör wirken andere Süßwasserfische wie unterernährte Flüchtlinge aus einem
Hungergebiet. Selbst die größten Welse müssen weichen, wenn Acipenser sturio
auftaucht. Unfassbare 6 m kann er lang werden, bei einem Gewicht von ca 1000 kg. Ein
sogenannter Rekordstör war ein 1994 im iranischen Teil des kaspischen Meeres gefangenes
Individiuum mit 5,5 m Länge und 800 kg Gewicht. Nur ein Kran konnte ihn an Land hieven.
Der Gigant lieferte über 100 kg Kaviar im Wert von mehr als 300.000 DM. Frnzösische
FAchleute aus dem Musee National d´Historie in Paris hatten das Tier im Auftrag der
Iranischen Regierung für die Nachwelt präpariert. Es steht heute in einem
Naturkundemuseum in Teheran.
Noch gewaltiger wird der Hausen, Huso huso, eine Störart, die es früher häufig
in der Donau gab. Seine Endmaße liegen bei 9,5 m und das Gewicht bei mehr las 1500 kg. Er
ist der größte Süßwasserfisch der Erde, ein Brocken, der größenmäßig selbst neben
einem Weißen Hai bestehen könnte. Weltweit gibt es ca 30 Störarten, darunter Riesen und
Zwerge, seltene und häufige. Eine der kleinsten Störarten ist der heimische Sterlet, Acipenser
rutenus. Er wird bestenfalls 1,2 m lang und 10 kg schwer. Der europäische
Rekordsterlet wurde 1996 in der Slowakei von Jan Sipos aus der Donau gefischt. Der
Traumfisch wog 6,6 kg bei 92,5 cm Länge und biss auf eine kleine Laube. Sogenannte
Störfälle gibt es immer wieder. So fing der 13-jährige Thorsten Fischer (nomen est
omen) aus Leipzig im Hausgewässer seines Vaters, dem Flüsschen Pleiße, einen 75 cm
langen Störhybriden, eine Kreuzung aus Sterlet und Sibirischen Beluga, der Bester genannt
wird. In der alten DDR wurden diese Fische einst für Promi-Schlemmer gezüchtet. Ähnlich
erging es dem Hamburger Peter Blume, der im Binnenhafen mit einem Tauwurm auf Aalfang war
und plötzlich einen Stör am Haken hatte. Der verblüffte Petrijünger entließ die
schwimmende Rarität - ohne zu zögern - wieder in die Freiheit. Gleiches ereignete sich
im Main, als der Sportfischer Fabio Nardin beim Nachtangeln mit einem Gummifrosch einen
Stör an Land zog. Woher diese versprengten Exemplare kommen, ist oft ungeklärt.
Vielleicht sind sie aus Zuchten entwichen, wurden ausgesetzt oder sind möglicherweise
tatsächlich aus der Nordsee zugewandert. Ob es sich um echte Atlantische Störe handelte,
ist zudem ungewiss, denn die speziellen Unterschiede kennen oftmals nur Störexperten. Die
gelandeten Störe waren zudem allesamt noch recht klein, sonst hätten sie nicht gefangen
werden können. Um einen 4-Meter Stör von 600 kg mit der Angel zu besiegen, benötigt man
in der Schlussphase mindestens sechs Männer, damit er an Land gehievt werden kann. Die
Süsswassergiganten kämpfen wie Berseker, springen wie MArline in die Luft, reißen die
Schnüre von der Rolle, ziehen ein Angelboot stundenlang über das Wasser. Kommt man dem
knochenartigen, mit Schildpatt besetzten Schwanz zu nahe kann das übel enden. Ein großer
Stör kann dem Angler mit einem Schlag beide Beine brechen. Selbst der kleine Sterlet kann
zum Teufel werden. Ein Sportfischer vergaß beim Landen die dafür empfohlenen
Lederhandschuhe anzuziehen und musste diesen Leichtsinn fast mit dem Leben bezahlen, als
der wie verrückt um sich schlagende und sich drehende Sterlet mit einem Knochenschild
seiner Rückenpartie dem Angler die Pulsader am Handgelenk aufriss und auch noch dessen
Sehne zerfetzte.
Lebensweise
Man weiß viel über den Stör, seine Biologie und seine
Verhaltensweisen, doch wenig über sein Leben selbst. Als Grundfisch verbrigt er seine
Tage und Nächte vorzugsweise über Kiesgrund, wühlt im Schlamm nach Würmern, Schnecken
und Krebsen und flippt gelegentlich mit wilden Sprüngen an der Oberfläche aus, ein
Verhalten das nicht zu deuten ist. Als anadromer Wanderfisch zieht er im Frühjahr aus dem
Meer zum Ablaichen die Flüsse hoch. Ohne Probleme bewältigt er starke Strömung und
Stromschnellen, indem er von einem Vorsprung zum anderen springt und das trotz seiner
enormen Körpermaße.
Abgelaicht wird vorzugsweise über klarem Kiesgrund. Die Wasserqualität ist ein wichtiger
Parameter für eine erfolgreiche Eiablage. Störe meiden verschmutzes und allzu trübes
Wasser, laichen dann lieber vorher im Flussdelta oder in Nebenarmen ab. Nach dem Ablaichen
ziehen die erwachsenen Tiere wieder ins Meer, die Jungtiere verbleiben dagegen oft Jahre
im Süßwasser, manchmal bis zur Geschlechtsreife, die bis zu 14 Jahre auf sich warten
lassen kann. Dann allerdings legen sie bis zu 2,5 Millionen Eier ab.
Über die Lebensweise des Störs im Meer ist wenig bekannt. Er kann jedenfalls problemlos
die tiefsten Stellen in der Nordsee erreichen, geht dort unten auch auf Nahrungssuche.
Natürliche Feinde hat ein ausgewachsener Stör aufgrund seiner Größe und seines
knochigen Äußeren so gut wie nicht. Selbst Haie machen um die Riesen einen Bogen und im
Süßwasser kann ihnen nur im Jungstadium der Waller (er schluckt sie unzerkaut)
gefährlich werden. Hechte spucken erbeutete Kleinstöre wieder aus.
Je größer der Stör, desto fischiger wird seine Nahrung. Ein 5 m langer Atlantischer
Stör oder gar ein 8 - 9 m langer Haúsen können nicht nur von Krebsen und Würmern
leben. Ihre Beute besteht im Süßwasser zum großen Teil aus Karpfen, Hechten, Zandern,
jungen Wallern Plötzen und Rapfen. Im Meer machen sie Jagd auf Schollen, Dorsche,
Heringe, Köhler, Wasservögel und Robbenbabys. Die Beute wird im Ganzen verschlungen bzw.
im Maul zerrieben. Inwieweit der harte Hornfortsatz am Schädel bei der Nahrungssuche
beteiligt ist, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Man nimmt an, dass Störe hin
und wieder mit dieser Schädelverlängerung den Untergrund aufwühlen, um an Aale zu
gelangen. Dass das Horn auch als Waffe benutzt wird lässt sich nur vermuten. Ein
meterlanger Stör wäre bei entsprechendem Gewicht und angemessener Dynamik durchaus in
der Lage, einen Menschen oder einen ähnlich großen Fisch zu töten bzw. schwer zu
verletzen. In Russland sollen größere Hausen auch schon Fischerboote versenkt haben,
indem sie mit ihrer Hornschnauze ein Loch in den Rumpf stießen.
Während man vor hundert Jahren nur drei Störarten unterschied, rechnet man heute mit
über 20 Formen, die sich aber in Größe und Gestalt teilweise nur unerheblich
voneinander unterscheiden, sodass selbst Fischkundler kaum die einzelnen Arten
unterscheiden und zuordnen können. Störe sind eine außerordentlich variable
Fischgruppe, in der es nicht selten zu Bastarden kommt. Diese Mischformen sind
normalerweise unfruchtbar, erreichen aber ein unglaubliches Größenwachstum. Kleinster
Stör ist der Sterlet dessen maximale Länge nur etwas über 1 m beträgt. Ihn findet man
bei uns in vielen Flüssen und den Nebenarmen der großen Ströme, außerdem hält er sich
auch in Seen auf und benötigt wie die stationäre Störform im russischen Lagoda See
keinen Zugang zum Meer.
Das schwarze Gold
Bereits seit Jahrhunderten ist der KAviar (russisch Ikra) ein
hochgeschätzes und teuer bezahltes Genussmittel. Störrogen wird in bester Qualität
höher gehandelt als Gold. Die Preise erreichen mitunter astronomische Höhen.
Feinschmecker sind bereit, für eine Topqualität fast jeden Preis zu bezahlen. Ein
Kilogramm besten Beluga-Kaviars gibt es ab 2500 Euro. Eine Rarität sind die
elfenbeinfarbigen Eier von über 100-jährigen Albinostören. Jährlich werden davon nur
20 kg gewonnen, das kg für 23.000 Euro. Übertroffen wird dieser Kilopreis nur noch vom
persischen Almas-Kaviar (Almas, persich = Diamant), der ausschließlich in
24-Karat-Golddosen, das kg für etwa 30.000.-Euro angeboten wird. Berühmte Gerichte wie
Reibekuchen mit KAviar netzücken schon alleine wegen ihrer edlen Schlichtheit. Wer Kaviar
nur genießen will, isst ihn aus der Dose mit dem Kaffeelöffel. Mild gesalzen soll er
sein.
Die Hatz auf den Stör, der wegen seiner feinen Eier zum teuersten Fisch der Welt wurde,
hat die Populationen in Russland stark dezimiert. Eine Stör-Mafia hat sich des Handels
bemächtigt und beutet die Bestände gnadenlos aus. Unerfahrene Verbraucher werden mit
mieser Qualität übers Ohr gehauen. Kaviar darf z.B. niemals in Gläsern oder offen
angeboten werden, weil Licht und Sauerstoff den edlen Geschmack binnen weniger Stunden
zunichte machen und das edle Gut zum Oxydieren bringen. Übrig bleibt nach Meinung von
Fachleuten eine ölige Schmiere, die für viel Geld verhökert wird. Michael Riegert, Chef
des Caviar-House in Genf, wo auch Gorbatschow schon orderte, gibt dem Kaviar nach dem
Öffnen der Dose gerade mal 20 Minuten bis zum geschmacklichen Kollaps. In Deutschland ist
die Lufthansa der Hauptabnehmer. Etwa 11 Tonnen Kaviar ordert die Fluggesellschaft
jährlich und bietet den Luxus in der First Class an.
Ökonomie und Ökologie
Wirtschaftlich spielt der Stör nur noch in den Östlichen Ländern
eine Rolle. In Russland, der Ukraine und im Iran gibt es ganze Fabriken, die sich mit der
Verarbeitung von Kaviar und Störfleisch beschäftigen. Während Kaviar vorzugsweise in
Dosen verpackt und auf diese Weise um die ganze Welt verschickt wird, geschieht das mit
Störfleisch nur bedingt. In Russland wird der Stör mitunter eingesalzen, gewürzt,
getrocknet oder in gefrorenem Zustand den Verbrauchern angeboten. Getrockneter
Störrücken gilt in vielen Teilen Russlands und der Ukraine als Delikatesse.
Vom Stör wird so gut wie alles verarbeitet. Aus der grossen Schwimmblase wird Fischleim
gewonnen. Eine russische Spezialität ist die Verwertung der Rückensaite (Choroda
dorsalis), die zur Zubereitung der dort beliebten Fischsuppen undFischpasten (Pirok)
benutzt wird. Störe, insbesondere der riesige Hausen, enthalten ziemlich dicke
Eingeweidefette, manchmal pro Fisch 20 bis 30 kg und noch mehr. Aus dem gelblichen Fett
gewinnt man vorzügliches Speiseöl, das unter anderem in der Konservenfabrikation
verwendet wird.. Die Knochen - je nach Störgröße 100 kg und mehr - sind als wichtige
Zutat für die Zubereitung von speziellen Fischsuppen unerlässlich. Getrocknete und
gereinigte Knochen gehen in großer Zahl nach China, wo sie iu der dortigen Küche als
Aromastoff Verwendung finden.
An Bedeutung gewinnt die Störzucht, aber nicht alle Arten lassen sich unproblematisch
vermehren. Vielfach fressen sich die Jungen selbst auf, bis nur noch wenige Exemplare
übrig sind. Erst 1991 gelang dem Agrarwissenschaftler Joachim Schindler die Nachzucht des
Sterlets. Führend in der Störzucht scheint die Fa.United Food Technologies AG in Fulda
zu sein. Die im Industriegebiet ansässige Firma züchtet dort Tausende laichfähiger
Störe diverser Arten - leider nicht den Atlantischen Stör - und erntet so echten Kaviar
"Made in Germany". Die Tiere werden dabei nicht getötet, sondern mittels
Kaiserschnitt vom Roggen befreit, vernäht und wieder ins Wasser zurückgesetzt. Dieses
Verfahren kann bis zu sechs Mal wiederholt werden. Ob es eines Tages gelingt, den in
Deutschland nahezu ausgestorbenen Acipenser sturio auf diese Weise wieder
heimisch werden zu lassen, ist allerdings ungewiss.
aus " Das Aquarium" 7/01 Seite 2 ff.
Mit freundlicher Genehmigung des Schmettkamp Verlags.
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