NAGEL

Peter Hoffmann
Müssen Fische trinken ?



Die in der Überschrift gestellte Frage erinnert an die Fragen in einem bekannten Schlager: „ Warum weinen die Tiere nicht? Woher kommt das Salz im Meer?“ Aber die Überlegung ist berechtigt und die Frage gar nicht so schnell beantwortet.



Egal, ob Mensch, Tier oder Pflanze - alle Lebewesen bestehen zu 60-80 % aus Wasser und müssen verlorengegangene Feuchtigkeit wieder aufnehmen, um nicht zu Grunde zu gehen. Wochenlang ohne Nahrung auszukommen, das können viele, aber ohne eine ausreichende Wasserzufuhr ist der Organismus dagegen binnen weniger Tage ausgetrocknet. Gerade bei Feuchtlufttieren, wie Amphibien, verdunstet das kostbare Naß durch die Haut mitunter unglaublich schnell, so daß sie normalerweise ständig in Wassernähe bleiben müssen. In jeder Pfütze und Wasserlache saugt ihre Haut Wasser wie ein Schwamm auf und füllt damit den Feuchtigkeitspegel wieder auf. „Trinken“ durch die Haut, z. B. in der Badewanne, das können wir Menschen natürlich nicht, ebenso wenig wie andere Säuger. Auch Vögel und Reptilien müssen das, was trotz mehrfacher Wasserrückgewinnung - via Urin an Feuchtigkeit verlorengeht und während der Atmung verdunstet, durch aktive Wasseraufnahme wieder ausgleichen. Was aber ist mit den Fischen, die quasi an der „Quelle sitzen“ ? Hier dürfte doch Wassermangel kein Thema sein !? Eher sein Überfluß!? Stimmt! Jedenfalls was Süßwasserbewohner angeht. Sie nehmen niemals aktiv Wasser auf, aber doch unfreiwillig! Und das in so großen Mengen, daß sie es wieder loswerden müssen. „Schuld“ sind verschiedene Elektrolyte, Harnstoff, Zucker, Aminosäuren und andere Substanzen im Körperinnern. Da die Konzentration dieser „Körpersäfte“ wesentlich höher als der Salzgehalt des Süßwassers ist (Hypertonie), dringt durch Kiemen und Haut ständig Wasser in den Fisch ein. So viel, daß er schließlich platzen würde ! Auslöser ist eine physiko-chemische Gesetzmäßigkeit, die wir noch aus der Schule kennen (sollten!)- die Osmose durch eine semipermeable Membran. Vereinfacht ausgedrückt, versuchen zwei räumlich voneinander getrennte und unterschiedlich konzentrierte Lösungen einander so lange auszugleichen, bis beiderseits der Trennwand dieselbe Salzkonzentration vorliegt. Voraussetzung ist, daß die Absperrung semipermeabel ist, d.h. für Wasser durchgängig, für die gelösten Teilchen hingegen undurchlässig. Und genau das trifft auf die Fischhaut zu. Daher dringt ständig Wasser in das Tier ein. Es w&uumlrde vermutlich längst geplatzt sein, bevor der Konzentrationsausgleich erreicht wäre. Um dies zu verhindern, muß der Fisch aktiv gegen das Konzentrationsgefälle und daher unter Energieaufwand Wasser ausscheiden. Also trinken Fische nicht. Sie müssen ganz im Gegenteil das lästige Naß wieder loswerden ?
Langsam! In Salzwasser sieht alles anders aus: Im Meer liegt eine höhere Ionenkonzentration als im Fischinnern (Hypotonie) vor, also verlieren - wiederum nach denselben osmotischen Gesetzmäßigkeiten - Meeresbewohner ständig Wasser an ihre Umgebung. Würden sie nicht „trinken“, also aktiv Feuchtigkeit aufnehmen, würden sie allmählich austrocknen und müßten mitten im Wasser verdursten. Das große Problem : Das Wasser das sie aufnehmen, enthählt reichlich Salz und könnte daher leicht ihren Elektrolytenhaushalt „durcheinanderbringen“! Um dies zu verhindern, besitzen sie spezielle Drüsen in der Kiemenregion, die das aufgenommene Salz wieder ausscheiden. Das kostet zwar, ebenso wie das Wasserauspumpen der Süßwasserbewohner, Energie, ist aber unvermeidbar. Ergänzend zur Wasserausscheidung via Niere auf ein Minimum reduziert. Die Urinmengen der Meeresbewohner sind daher zehn- bis hundertmal kleiner als die der Süßwasserfische. Eine Sonderstellung nehmen im Meer die Haie und Rochen ein, die ihren osmotischen Druck innerhalb gewisser Grenzen dem der Umgebung anppassen. Sie halten hierzu möglichst lange und viel Harnstoff und andere osmotisch wirksame Substanzen im Körper zurück, damit ihnen so wenig wie irgend möglich verlorengeht. Dabei „schießen“ sie manchmal sogar weit über das eigentliche Ziel hinaus, daß ihr Blut zum Meerwasser in einem hypertonischen Verhältnis stellt. Wasser dringt ein, eventuell so viel, daß es wieder ausgepumpt werden muß!


Ganz kurios wird es bei den Fischarten, die aus dem Meer in die Flüsse aufsteigen, wie dem Lachs, oder bei Süßwasserbewohnern, die es zum laichen zurück ins Meer zieht, wie dem Aal. Sie verbringen einen Teil ihrer Wanderung „trinkend“, den Rest „wasserpumpend“ - eine Glanzleistung der Osmoseregulation. Apropos „Weinende Tiere!“ Aufnahmen von Meeresschildkröten, deren Augen tränen, stimmen angesichts unzähliger, abgeschlachteter und zu Suppen verarbeitender Exemplare zwar zu Recht nachdenklich, sollten uns aber dennoch nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten. Der Grund ist sehr banal und hat nicht das geringste mit Traurigkeit oder Verzweiflung zu tun sondern mit Osmose. Die Reptilien sind gegenüber dem Salzwasser hypotonisch. Das müssen sie auch bleiben und daher das mit der Nahrung und dem Trinkwasser aufgenommen Salz wieder loswerden. Hierzu besitzen die Schildkröten spezialisierte Tränendrüsen, die ihre salzige Fracht an dieser symbolträchtigen Stelle nach draußen befördern. Ähnliche Probleme haben übrigens Möven, Kormorane und andere am und vom Meer lebende Vogelarten. Salzdrüsen die in der Schnabelregion enden, geben das mit der Nahrung und dem Trinkwasser aufgenommene Salz hochkonzentriert wieder ab.

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aus „Das Aquarium“ 12/98 Seite 33
Mit freundlicher Genehmigung des SCHMETTKAMP Verlags.

Fotos: U.Werner

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